Streben nach einer einheitlichen Bildungspolitik im Reich

Bildung 1925:

In den bildungspolitischen Diskussionen des Jahres 1925 nehmen reformerische Bestrebungen im Grund- und Volksschulbereich sowie Veränderungen im Aufbau höherer Schulen breiten Raum ein. Seit Bestehen der Weimarer Republik hat es mehrere Versuche gegeben, das Schulwesen zu vereinheitlichen. Dadurch, dass die Regierungen der 18 Länder selbstständig in bildungspolitischen Fragen entscheiden konnten, ist das Schulwesen zersplittert – eine Situation, die durch Reichsschulgesetze verändert werden soll.

Im November 1924 hatte der Reichsschulausschuss seine Arbeit aufgenommen. Die Unterrichtsverwaltungen von Preußen, Bayern und Sachsen verfügen darin über je einen Sitz, die Vertretung der übrigen Länder ist kollektiv geregelt. Auf der Grundlage der Ausschussarbeit wird im Juni dem Reichsrat der Entwurf für ein Reichsvolksschulgesetz vorgelegt, woran sich heftige parteipolitische Auseinandersetzungen entzünden. Umstrittener Punkt ist u. a. die Grundschulnovelle, worin die allgemeine vierjährige Grundschule vorgeschlagen wird. Nach Besuch dieser für alle Kinder verbindlichen Einrichtung kann entschieden werden, ob die fünfjährige weiterführende Schule zur mittleren Reife oder die achtjährige bis zur Hochschulreife gewählt wird. Gegner der Grundschule sind vor allem die deutschnationale (DNVP) und die deutschvölkische (DVP) Partei. Sie plädieren für ein Weiterbestehen der alten Volksschule neben den anderen Einrichtungen (Gymnasium; Oberrealschule, seit 1890; Realgymnasium, seit 1900). Für besonders begabte Volksschüler wird 1925 zunächst probeweise die Oberschule, eine sog. Aufbauschule, geschaffen: Im Anschluss an die acht Jahre dauernde Volksschule erlangen sie dort nach sechsjährigem Unterricht ebenfalls die Hochschulreife. Vertreter der bürglichen Parteien befürworten die allgemeine Grundschule, jedoch wollen sie die Möglichkeit eines Wechsels in die weiterführende Schule bei herausragenden Leistungen schon nach drei Jahren gewährleisten. Dagegen und auch gegen die beabsichtigte Beibehaltung noch bestehender konfessioneller Schulen sprechen sich SPD und auch das preußische Kultusministerium aus, so dass über die Grundschulnovelle 1925 keine Einigung erzielt wird.

Wesentliches Argument der Befürworter eines einheitlichen Bildungssystems ist die Chancengleichheit für die Kinder aller Bevölkerungskreise, die Abschaffung der Schulen mit »Klassencharakter«, wie es die SPD formuliert.

Eng mit diesem Problem verbunden ist auch die Frage der Kosten. Häufig scheitert der Besuch begabter Jugendlicher der unteren Schichten an einer höheren Lehranstalt oder Universität an den hohen finanziellen Aufwendungen. Zwar gründet sich die »Studienstiftung des deutschen Volkes«, doch reichen die von ihr zur Verfügung gestellten Stipendien nicht aus. Von den Söhnen und Töchtern der niederen Beamtenschicht, der Kleinbauern und Arbeiter, die 28,5% der Studenten ausmachen, müssen viele ihr Studium aus Geldmangel abbrechen.

Ein weiteres Reformvorhaben ist eine einheitliche Lehrplangestaltung für die höheren Schulen. Im April gibt das preußische Staatsministerium Richtlinien heraus, die Grundsätze der inneren Schulreform für alle Schularten und Unterrichtsfächer entwickelt. Sie beinhalten, dass nunmehr nicht nur Stoffübermittlung das Ziel sein soll, sondern Entwicklung der »Selbständigkeit im Urteil, der Methode und des Willens«. Als Anregung für einige der neu propagierten Grundsätze dienten in sog. Landschulheimen gemachte reformpädagogische Erfahrungen. Zu den bekanntesten Einrichtungen dieser Art im Deutschen Reich gehören die Schulen in Wickersdorf (Thüringen) sowie auf der Insel Juist. In diesen freien Schulen, deren erklärte Aufgabe die »Heranbildung vollwertiger Menschen« ist, leben etwa 1000 Schüler. Einhergehend mit der geplanten Umgestaltung des deutschen Schulwesens fordern die Kultusministerien der Länder auch eine qualifiziertere Ausbildung des Lehrpersonals. Da als Voraussetzung für den Lehrerberuf künftig das Abitur verlangt wird, erfolgt zum Sommer des kommenden Jahres die Auflösung aller Lehrerseminare, wo die Ausbildung bisher auch ohne Reifezeugnis möglich war. Stattdessen werden Institute für Lehrerbildung deren Aufgabe übernehmen.

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