Weiter steigende Arbeitslosigkeit und niedrigere Löhne

Arbeit und Soziales 1931:

Für die abhängig Beschäftigten im Deutschen Reich bringt das Jahr 1931 weitere soziale Einbußen: Die Zahl der Arbeitslosen wächst bis Jahresende auf über fünf Millionen an, Lohn- und Gehaltstarife werden durch Notverordnungen gesenkt, viele Unternehmen setzen Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich durch, und die Reallöhne sinken auf einen niedrigeren Stand als 1928.

Das Volkseinkommen pro Kopf der Bevölkerung fällt im Jahr 1931 nach amtlichen Angaben mit 889 Reichsmark (RM) noch hinter den Stand von 1925 zurück. Die Reichsregierung versucht durch eine traditionelle Deflationspolitik – vor allem Senkung der Staatsausgaben – die Krise zu überwinden.

Alternativvorschläge – Erhöhung der Staatsverschuldung zur Finanzierung zusätzlicher Arbeitsplätze – werden kaum beachtet: Reichsfinanzminister Hermann Robert Dietrich setzt sich mit seinen beschäftigungspolitischen Ideen dem Vorwurf der Subventionspolitik aus; der Vorschlag von Wilhelm Lautenbach, Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, zur Arbeitsbeschaffung Kredite in Milliardenhöhe aufzunehmen, wird vom Reichsbankpräsidium am 15. September verworfen, und bei den Gewerkschaften wird das im Dezember verfasste Programm des Ökonomen Wladimir Woytinsky zur Arbeitsbeschaffung zunächst wenig beachtet.

Nachdem bereits am 1. Dezember 1930 die Gehälter und Pensionen der Beamten um 6% gekürzt worden waren, folgen im Verlauf des Jahres 1931 drei weitere sozialpolitisch bedeutsame Notverordnungen: Am 5. Juni werden die Arbeitslosenunterstützung um rund 10% und die Löhne im öffentlichen Dienst um 5 bis 8% gekürzt; weitere Einschränkungen bringen die Notverordnungen vom 6. Oktober sowie die vom 8. Dezember, mit der die Tariflöhne auf den Stand vom 10. Januar 1927 gesenkt werden.

Am 1. Oktober wird die Höchstdauer der Arbeitslosenunterstützung von 26 auf 20 bzw. 16 Wochen (für berufsübliche Arbeitslosigkeit) gekürzt, dafür aber die Leistungen aus der Krisenunterstützung verlängert. Der freiwillige Arbeitsdienst wird zum 3. August als öffentliche Aufgabe anerkannt, nachdem die Arbeitsdienstpflicht am 12. Januar von den Tarifpartnern wegen zu hoher Kosten abgelehnt worden ist.

Während die Industrie einen noch weiteren Abbau von Löhnen, Gehältern und Sozialleistungen fordert, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, reagieren SPD und Gewerkschaften mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzungen – und damit Umverteilung der vorhandenen Arbeit – auf die Arbeitslosigkeit.

Die traditionelle Gewerkschaftspolitik erweist sich gegenüber der Krise als hilflos: Durch Notverordnungen und Zwangsschlichtung wird die Tarifautonomie immer weiter ausgehöhlt, die steigende Arbeitslosigkeit lässt Streiks zu einer stumpfen Waffe werden. Für die Gewerkschaften geht es bei Tarifverhandlungen in der Regel nicht mehr um die Höhe der Lohnzuwächse, sondern um die Begrenzung der Einbußen.

Die Folgen der Wirtschaftskrise für die Beschäftigung sind nicht nur in Deutschland unübersehbar. Mit Ausnahme von Frankreich, das erst zum Ende des Jahres steigende Erwerbslosenzahlen meldet, wächst im Ausland die Zahl der Arbeitslosen rapide an oder stabilisiert sich auf hohem Niveau. In Österreich klettert die Zahl der zur Vermittlung vorgesehenen Arbeitslosen zwischen Januar und Dezember 1931 von 374 926 auf 395 981 , die Schweiz meldet für den gleichen Zeitraum eine Fast-Verdoppelung der Zahl der Stellungssuchenden von 27 316 auf 50 570 , und in den USA wird für Ende Oktober die Zahl der Erwerbslosen auf 6,5 Millionen geschätzt. Im wichtigsten Industrieland sinkt damit der Beschäftigungsgrad der Gesamtwirtschaft (1923 – 1925 = 100) bis Dezember 1931 auf 67,9% ab.

Chroniknet