Totaler Arbeitskräfteeinsatz für die Rüstungsindustrie

Arbeit und Soziales 1942:

Die Arbeitswelt des Jahres 1942 steht im Deutschen Reich unter dem Zeichen einer verschärften Ausschöpfung des im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich verfügbaren Arbeitskräftepotenzials für die Kriegsproduktion sowie einer Vielzahl von Versuchen zur Leistungssteigerung von Seiten der staatlichen Rüstungslenkung. Den wirtschaftlichen Rahmen setzt der Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF), Robert Ley, am 19. Januar in einer Rede vor Betriebsführern wehrwirtschaftlicher Betriebe in Jena fest, indem er für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr eine Leistungssteigerung von rund 10% fordert.

Neben deutschen Frauen und Jugendlichen, die seit dem Frühjahr verstärkt in Rüstungsbetrieben und in der Landwirtschaft eingesetzt werden, sind es vor allem Angehörige der vom Deutschen Reich besetzten Staaten, Kriegsgefangene und ab April 1942 Häftlinge aus Konzentrationslagern, die unter größtenteils unmenschlichen Bedingungen in kriegswichtigen Betrieben arbeiten. Allein zwischen Juni und August werden 135 290 ausländische Arbeitskräfte u. a. aus Frankreich, Belgien, Dänemark und Spanien angeworben. Fremdarbeiter aus Polen kommen bereits seit 1939, Arbeiter aus der UdSSR seit 1941 im Deutschen Reich zum Arbeitseinsatz. Sie rangieren am untersten Ende der nationalsozialistischen Wertehierarchie und werden in Lagern wie Kriegsgefangene gehalten. Hinter ihrer »freiwilligen« Verpflichtung steht vielfach die Drohung mit der Einweisung in ein Konzentrationslager.

Um die Leistungswilligkeit der deutschen Belegschaften zu steigern, werden im Laufe des Jahres zahlreiche ideelle und materielle Anreize geschaffen. Während die Bruttoreallöhne seit 1939 nur um knapp 3% gestiegen sind und die Arbeitnehmer im Vergleich zum Vorjahr sogar einen Reallohnverlust von 2% hinnehmen müssen, hat sich die Arbeitszeit in der deutschen Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 5% von 47 auf 49,2 Wochenstunden erhöht. Mit Leistungsprämien in Form von Tabak und Branntwein für Rüstungsarbeiter, Verbesserungen des Mutterschutzes für berufstätige Frauen und mit wohlfeilen Ehrungen und Orden versucht das NS-Regime, die Unzufriedenheit zahlreicher Arbeiter über den mit zunehmender Kriegsdauer drückender spürbaren Konsumverzicht zu kompensieren und sich der Loyalität der »Volksgenossen« zu versichern. Diese Maßnahmen zur Motivierung werden flankiert von einem Strafkatalog, der bis zur Drohung mit der Einweisung von »Arbeitsbummelanten« in Konzentrationslager reicht. Massiven Druck auf die Arbeitsmoral üben die Behörden ab 8. September mit der Koppelung des Bezugsrechts für Lebensmittel- und Kleiderkarten an einen Arbeitsnachweis aus.

Dennoch häufen sich in den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS in diesem Jahr Klagen über Fälle von »Bummelei« und »Widersetzlichkeit« gegen Vorgesetzte bis hin zu Sabotageakten an Werkseinrichtungen. Wenn auch nicht Ausdruck genereller Opposition gegen das NS-Regime, sind derartige Verhaltensweisen als Ausdruck alltäglichen Widerstands zumindest ein Indikator für den wachsenden Unmut von Teilen der Arbeiterschaft mit der sich ausschließlich an Erfordernissen der Kriegswirtschaft orientierenden Sozialpolitik des nationalsozialistischen Regimes.

Chroniknet