Bessere Ernährung nach den entbehrungsreichen Jahren

Ernährung, Essen und Trinken 1954:

Gute fünf Jahre nachdem in der Bundesrepublik die Lebensmittelrationierungen endgültig aufgehoben wurden, haben die Bundesbürger den Ernährungsstand der Vorkriegszeit – abgesehen von bestimmten zeitbedingten Veränderungen der Essgewohnheiten – wieder erreicht: Entsprechend einer seit Jahren andauernden Entwicklung ist auch 1954 der Pro-Kopf-Verbrauch an kohlehydratreichen Nahrungsmitteln wie Getreide und Kartoffeln weiter rückläufig; der allgemeine Trend geht zum Verzehr hochwertiger Lebensmittel, auch wenn sich der Normalverbraucher besondere kulinarische Leckerbissen nur selten leisten kann.

Eine wichtige Veränderung der Essgewohnheiten ist bei Südfrüchten und Frischobst zu beobachten: Seit der Vorkriegszeit (Durchschnittswert 1935 – 1938) ist der Verbrauch um 126 bzw. 55% gestiegen. Auch der Verzehr von Nahrungsfetten belegt veränderte Ernährungsgewohnheiten: Die in den Kriegs- und den frühen Nachkriegsjahren so begehrten Schlachtfette Speck, Schmalz und Talg sind bei allgemein gestiegenem Fettverbrauch ebenso wie Butter zunehmend von Margarine und anderen nicht-tierischen Fetten verdrängt worden.

Fleisch ist weiterhin nicht die Regel auf bundesdeutschen Tischen; Bundesernährungsminister Heinrich Lübke fordert daher die Fleischer auf, durch niedrigere Preise die Nachfrage zu erhöhen. Auch sozial schlechter gestellte Schichten sollen sich so häufiger ein »Stück Fleisch« leisten können.

Ganz anders verhält es sich beim Grundnahrungsmittel Milch: Nach Ansicht von Fachleuten ist das bisherige Milch-Pfandflaschensystem unattraktiv für Käufer und Hersteller, so dass Milchdauerwaren (Käse, Kondensmilch usw.) beliebter sind als das Urprodukt. Sammeln und Transport leerer Flaschen betrachten die Verbraucher als lästig und der Handel als zusätzlichen Kostenfaktor. Daher wird 1954 z. B. in Essen mit der Abfüllung von Tütenmilch für das Ruhrgebiet begonnen, eine Darreichungsform, die den Wünschen der Verbraucher entgegenkommen soll.

Nach dem »Rausch der Befreiung«, mit dem schon 1949 der Branntweinkonsum nahezu den Vorkriegsstand von 1,12 l je Einwohner und Jahr erreicht hatte, setzen die Bundesbürger auf sanftere Genüsse: Wein und Fruchtsaft statt Bier und Schnaps. Während besonders der deutsche Wein des Jahrganges 1953 als der seit Langem beste Jahrgang gilt, fallen die Qualitäten 1954 allgemein sehr unterschiedlich aus. Die Steuersenkungen von 1952 für Tabak, Kaffee, Tee und Kakao haben ihre Wirkung auf die Verbraucher nicht verfehlt: So werden z. B. 1954 rund 780 Zigaretten pro Kopf geraucht – 80 mehr als 1953, aber auch mehr mildere Orientzigaretten. Mit knapp 93 g Teeverbrauch pro Kopf und Jahr bleiben die Bundesbürger allerdings weiterhin »Teemuffel«.

Chroniknet