Billiges ist nicht mehr gefragt

Wohnen und Design 1978:

Die Bundesbürger geben immer mehr Geld für Einrichtungsgegenstände aus. Jeder Haushalt – so die Schätzung der Industrie – schafft sich 1978 Möbel für durchschnittlich 2500 DM an. Das entspricht einem Zuwachs um rund 15% gegenüber dem Vorjahr. Grund für diese Entwicklung ist das gestiegene Qualitätsbewusstsein der Konsumenten. Gefragt sind nicht mehr Billigmöbel, sondern hochwertige Stühle, Schränke oder Sessel. Die Wohnungseinrichtung ist zum Prestigeobjekt Nummer eins geworden. Ein Frankfurter Meinungsforschungsinstitut veröffentlicht eine Untersuchung, nach der 73% der Deutschen die eigene Wohnung als ein wichtigeres Statussymbol als etwa den Besitz teurer Autos ansehen.

Dieser Trend zeigt sich deutlich auf der im Januar eröffneten Kölner Möbelmesse. Rund 1500 Aussteller aus 36 Ländern präsentieren Produkte, die aufwendig verarbeitet und aus teuren Materialien wie Edelholz, Leder oder Rattan gefertigt sind. Die Anfang der 70er Jahre beliebten kunststoffüberzogenen Möbel sind ebenso »out« wie der sog. altdeutsche Stil, für den Eiche absolutes Muss war.

Die meisten Hersteller setzen auf kleine und zierliche Einzelmöbel mit klarer Linienführung. Statt großdimensionierter Couchgarnituren werden kompakte, leicht zu kombinierende Zweiersofas mit Bezügen aus Leder oder hochwertigem Stoff angeboten. Die einst so gefragten klobigen Schrankwände sind kaum noch zu finden. Stattdessen werden Vitrinen, Kommoden oder Regale bevorzugt. Eine Ausnahme macht der deutsche Hersteller »Interlübke«, der eine »Funktionswand« vorstellt. Sie besteht aus aufeinander abgestimmten und nahezu unbegrenzt kombinierbaren Containern, in denen Bücherborde, ein Fernsehfach oder eine Bar untergebracht sind. Jugendliche Konsumenten, die nur über einen kleinen Geldbeutel verfügen, bevorzugen einfache und preiswerte Möbel. Der schwedische Hersteller Ikea hat großen Erfolg mit seinen meist aus massivem Holz gefertigten, im skandinavischen Stil gestalteten Produkten, die vom Kunden selbst aufgebaut werden müssen.

Immer größerer Beliebtheit erfreuen sich Möbel aus italienischer Produktion. In Mailand, seit Jahren Zentrum des internationalen Möbeldesigns, zählt das 1976 von dem Architekten Alessandro Guerriero gegründete »Studio Alchymia« zu den Trendsettern. 1978 entwerfen u.a. Ettore Sottsass, Andrea Branzi und Alessandro Mendini für die Gruppe eine Reihe von aufsehenerregenden Möbelstücken, deren Formgebung den Gegenstand in seiner Erscheinung betont und die Funktion scheinbar in den Hintergrund stellt. So muten die vorgestellten Sitzmöbel mit ihrem häufig kantigen Design auf den ersten Blick unbequem an was sie jedoch keineswegs sind.

In den USA kristallisieren sich 1978 mehrere neue Stilrichtungen heraus, die zeigen, dass Architekten der Gestaltung von Innenräumen eine größere Bedeutung als bisher beimessen. In New York gestaltet das Architektenbüro Skidmore, Owings und Merrill die Innenräume einer Bankfiliale in ungewohnter Art und Weise. Verwendet werden kühn und elegant wirkende Materialien wie polierter Granit, Bronzeglas und Stahl mit Spiegelflächen sowie knallrote Teppiche. Die mit dem Etikett »Fancy« versehene neue Stilrichtung wird von ihren Begründern als neues Rokoko bezeichnet, worunter sie einen dekorativen Modernismus verstehen.

Auch zwei weitere, einander völlig entgegengesetzte Stile kommen aus den USA. Sie werden als »Real« bzw. »Unreal« bezeichnet. Während sich die Verfechter des »Real« vor allem an den praktischen Bedürfnissen der Bewohner orientieren – die Formgebung soll »begreifbar« sein –, bevorzugen im Team mit Künstlern und Designern arbeitende Architekten wie Frank Israel eine Gestaltungsform, die durch ungewöhnliche Farbgebung, poppiges Dekor und verspielte Accessoires Phantasieräume schafft.

Chroniknet