Remarque statt Trotzki: Außenpolitik angesichts reger Kulturdebatte in Deutschland nur zweitrangig

Politik und Gesellschaft 1929:

Da für das Deutsche Reich die Außenpolitik dank Stresemann an Brisanz verloren hat, werden die großen internationalen Ereignisse des Jahres 1929 von den Deutschen mit geringerer Aufmerksamkeit registriert, die Versöhnung des Vatikans mit dem faschistischen Italien ebenso wie die Ausweisung von Leo Trotzki aus der Sowjetunion, die Bürgerkriege im fernen China und in Afghanistan. Die Presse ist stattdessen beherrscht von Diskussionen über die Bucherfolge des Jahres, den Antikriegsroman »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque und Vicky Baums »Menschen im Hotel«, über die Bauhaus-Architektur und die neuesten Inszenierungen von Max Reinhardt, Leopold Jessner und Gustaf Gründgens oder die Uraufführung der Oper »Neues vom Tage« von Paul Hindemith in Berlin. Die ersten deutschen Tonfilme werden ebenso ausführlich besprochen wie Revuen und Kabaretts, aber auch große Sportveranstaltungen. Die Kultur- und Unterhaltungsindustrie droht alle Krisenzeichen aus dem Bewusstsein der Menschen zu verdrängen; übrigbleibt, was das Schlagwort von den Goldenen Zwanzigern ausdrücken soll: emanzipierte Frauen mit kurzem Rock und Bubikopf, Vergnügungssucht, Tanzfreude, Sportbegeisterung, aber auch eine rege, innovative Kunstszene.

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