Schule zwischen Reform und Drill

Bildung 1926:

Die pädagogischen Vorstellungen in der Mitte der 20er Jahre sind von Enthusiasmus geprägt, von dem Glauben an die Möglichkeit, durch Erziehung alle Fähigkeiten der Menschen freizusetzen und das gesellschaftliche Leben zu demokratisieren. Die von der Jugendbewegung beeinflussten Reformbestrebungen wenden sich gegen die überkommenen autoritären Erziehungs- und Unterrichtsstile, gegen einen einseitigen Intellektualismus.

Entfaltung aller schöpferischen Kräfte, selbstständiges Erarbeiten des Lehrstoffs, praktische Tätigkeiten, verstanden als Teilbereich der allgemeinen Menschenbildung oder als gezielte berufliche Vorbereitung, kennzeichnen die Reformpädagogik. Psychologen und Pädagogen entwickeln Verständnis für die Psyche von Kindern und Jugendlichen; der Titel eines Buchs der Schwedin Ellen Key, »Das Jahrhundert des Kindes« (1900), wird zum Schlagwort der erzieherischen Bemühungen. Derartige Bestrebungen bestimmen die Erziehung in den Landerziehungsheimen, den Waldorf- und Odenwaldschulen, den Privatschulen wie der von Berthold Otto in Berlin-Lichterfelde, den Kindergärten und Kinderhäusern von Maria Montessori in Italien.

Reformpädagogische Überlegungen finden zwar auch Eingang in den normalen Schulalltag, vor allem bei der Veränderung der Lehrpläne. Die höheren Schulen sind seit 1925 angehalten, das deutsche Kulturgut zu pflegen. Es wird mehr Wert auf Kunst- und Leibeserziehung sowie auf Werkunterricht gelegt, es gibt Spielnachmittage und Wandertage. 1926 reformiert Preußen die Volksschullehrerausbildung: An die Stelle der alten Seminare tritt eine besondere Hochschule, die Pädagogische Akademie, die das Abitur voraussetzt und in vier Semestern zum ersten Lehrerexamen führt.

Dennoch kennzeichnet vielfach noch Drill den Schulalltag. Der Besuch einer weiterführenden Schule erfolgt nach klassenspezifischer Auslese: Knapp 7% der Volksschüler gehen auf eine höhere Schule, der Anteil der Arbeiterkinder beträgt nur 4%. Der Einfluss der Jugendbewegung schlägt sich auch in der Erwachsenenbildungsarbeit nieder. Es entsteht eine Reihe von Volkshochschulen.

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