Erfolge der Elektrotechnik

Wissenschaft und Technik 1902:

Der bedeutendsten Erfolge in Forschung und Technik kann sich die Elektrotechnik rühmen: In Schweden erfindet Ernst Danielson den Synchronmotor, in Italien wird das erste große Drehstromnetz der Welt aufgebaut, ein 14 516 km langes neues Seekabel verbindet Vancouver mit Neuseeland, und Großbritannien und Deutschland errichten Seefunkstationen.

Mit eindrucksvollen Leistungen wartet die Stahlindustrie auf, auf dem Verkehrssektor machen die Einweihung der Transsibirischen Eisenbahn und der Bau eines deutschen und eines US-amerikanischen Großseglers Schlagzeilen, und die wissenschaftliche Forschung berichtet über die Entdeckung des spontanen Zerfalls radioaktiver Elemente.

Den elektrischen Synchronmotor, der von Vorteil ist, wo es auf konstante Drehzahlen ankommt, erfindet der Schwede Ernst Danielson. Er verändert den 1887 von dem US-Amerikaner Nikola Tesla erfundenen Induktionsmotor insofern, als er dessen nichtmagnetischen Anker durch einen Dauer- bzw. durch einen Elektromagneten ersetzt. Der rotierende Anker hinkt so nicht mehr dem antreibenden Drehfeld nach.

Drehstrom in großem Stil nutzt erstmals die Veltlinbahn von Lecco nach Sondrio in Italien. Ihre 106,3 km lange Strecke wird von Niedervoltgleichstrom auf hoch gespannten (3000 Volt) Drehstrom umgestellt. Der Grund: Hochspannung lässt sich rationeller übertragen, Gleichstrom aber lässt sich nicht ohne Schwierigkeiten auf hohe Spannungen transformieren. So wird auf Anregung der schweizerischen Lokomotivbauer Lancelot Brown und Walter Boveri am 4. September in Italien die erste Teilstrecke des ersten großen Drehstromnetzes der Welt eingeweiht. Eine Stromfernleitung ganz anderer Art lässt die britische Regierung von Vancouver über Fanning und die Fidschi-Inseln bis nach Queensland und Neuseeland verlegen: Ein 14 516 km langes Seekabel, das eine Lücke im immer dichter werdenden Seekabelnetz schließt. Weltweit sind 1902 rund 380 000 km Seekabel für Funkfernverbindungen verlegt. Auch der Erfolg der ersten drahtlosen Funkverbindung über den Atlantik, den im Vorjahr der Italiener Guglielmo Marchese Marconi feiern konnte, hat Konsequenzen: Die britische und die deutsche Marine richten erste Funkstationen zum Nachrichtenverkehr mit Schiffen ein.

Zwei weitere Neuigkeiten auf dem Gebiet der Elektrotechnik haben eher Kuriositätswert: Die US-Firma George Blickensderfer in Connecticut bietet erstmals eine – allerdings unbefriedigende – elektrische Schreibmaschine auf dem Markt an; sie soll einen leichteren Anschlag haben. Das am 12. Juni patentierte Farbfernseh-Verfahren des deutschen Erfinders Otto von Bronk hingegen findet noch keinerlei kommerziellen Nutzen. Es geht bereits von einer Bildabtaster- und von einer Bildwiedergaberöhre aus und greift damit der Entwicklung rund ein Vierteljahrhundert voraus.

Außerordentlich erfolgreich auf dem Gebiet der Bildwiedergabe ist indes das neue »Tessar«-Foto-Objektiv der Optischen Werke von Carl Zeiss in Jena. Erfunden und berechnet hat den brillanten Vierlinser mit eingebauter Blende, hoher Abbildungsgüte und der Lichtstärke 1:6,3 der Zeiss-Mitarbeiter Paul Rudolph.

Die Leistungsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie demonstriert die Essener Firma Krupp auf der Industrieausstellung in Düsseldorf. Zu ihren fertigungstechnischen Superlativen gehören mit 93,8 m2 die größte Eisenplatte aller Zeiten, mit 106 t und 30 cm Stärke die größte bisher erzeugte Panzerplatte sowie eine 52,7 t schwere, 45 m lange Schiffshohlwelle.

Ein Glanzlicht der wissenschaftlichen Forschung liefern der in Neuseeland geborene britische Physiker Ernest Rutherford und sein Mitarbeiter Frederick Soddy: Sie finden heraus, dass aus Uran unter Abgabe von subatomaren Alpha-Teilchen ein anderes Element entsteht.

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